KVBW-Vorsitzender: „Digitalisierung muss letztlich Mehrwerte für alle Akteure generieren.“

26.04.2021

In der vierten Ausgabe des Formats #gesundheitwirddigital – 5 Fragen ins Land berichtet heute Dr. Johannes Fechner, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, über die Digitalisierung in der ambulanten Gesundheitsversorgung.

Mit dem Format #gesundheitwirddigital – 5 Fragen ins Land möchten wir diejenigen zu Wort kommen lassen, die die Digitalisierung in Medizin und Pflege entscheidend voranbringen und uns dabei unterstützen, dass Baden-Württemberg auf diesem Gebiet Vorreiter bleibt. In unregelmäßigen Abständen veröffentlichen wir hier Interviews mit denselben fünf Fragen; heute Herr Dr. Fechner, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW).

Bitte beschreiben Sie Ihre Rolle bei der Umsetzung der Digitalisierung in Medizin und Pflege in Baden-Württemberg.

Als Vertretung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg haben wir schon sehr früh das Potential der Digitalisierung erkannt und stets Projekte zur Erprobung und Erschließung von digitalen Potentialen im niedergelassenen Bereich unterstützt und vorangetrieben. Unterstrichen wird dies auch dadurch, dass Vertragsärztinnen und Vertragsärzte in Baden-Württemberg zu einem großen Teil Videosprechstunden auf Basis einer zertifizierten Videosprechstundensoftware als zusätzliches Angebot für ihre Patientinnen und Patienten eingerichtet haben.

Die KVBW hat zudem mit docdirekt als erste Kassenärztliche Vereinigung bundesweit eine kostenfreie telemedizinische Versorgung für alle gesetzlich versicherten Bürgerinnen und Bürger des Bundeslandes anbieten können. Das Projekt setzte bundesweit Signale und hat wesentlich zur Digitalisierung der ambulanten Gesundheitsversorgung und zur Umgestaltung von rechtlichen Vorgaben in Bezug auf die ausschließliche Fernbehandlung beigetragen. Entsprechend sehen wir unsere Rolle als Gestalterin dieser Entwicklung und wollen auch zukünftig an der Digitalisierung der Medizin und Pflege des Landes maßgeblich mitwirken. Schließlich hatte die KVBW 2017 einen Förderaufruf mit einem Volumen von 1 Mio. Euro für innovative Versorgungsformen mit vernetzten IT-Strukturen oder telemedizinischen Anwendungen gestartet.

Welches eHealth-Projekt oder welche Anwendung begeistert Sie besonders – und warum?

Die Telematikinfrastruktur (TI) mit ihren vielfältigen Fachanwendungen birgt sehr viel Potential für effizientere Prozesse und moderne Lösungen. Auch die elektronische Patientenakte als Schlüsselanwendung zur Digitalisierung im Gesundheitswesen schreitet langsam voran. Der Mehrwehrt dieser interoperablen und sektorenübergreifenden TI-Plattform gibt Versicherten die Hoheit über ihre medizinischen Daten, was u.a. zu mehr Transparenz und zu einer besseren Qualität der Versorgung führen kann. Daneben hat die Videosprechstunde einen großen Schritt nach vorne getan, indem die Angebote der zertifizierten Videosprechstundenanbieter durch die Ärzteschaft weitreichend angenommen wurden und so Patientinnen und Patienten auch aus der Entfernung behandelt werden können. Diese Interaktionsmöglichkeit läuft sicher und zuverlässig mit den von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und vom GKV-Spitzenverband zertifizierten Softwarelösungen, die sich am Markt etabliert haben. Eine Behandlung vor Ort kann und soll dadurch aber natürlich nicht ersetzt werden. Eine Ergänzung zum bestehenden Angebot kann damit aber in jedem Fall geboten werden.

Was waren rückblickend betrachtet wichtige Meilensteine für die Digitalisierung in Medizin und Pflege?

Die Lockerung des Fernbehandlungsverbots durch die Landesärztekammer Baden-Württemberg war Voraussetzung für die Entwicklung von Modellprojekten. Durch eine enge Zusammenarbeit und erfolgreiche Modellprojekte konnten wir in Baden-Württemberg aufzeigen, dass die Telemedizin ein weiterer Baustein zur Sicherstellung der Versorgung sein kann. Alle anderen Landesärztekammern deutschlandweit sind anschließend dem Beispiel von Baden-Württemberg gefolgt.

Die Spezifikation und die festgelegten Fristen zum E-Rezept sind ein wichtiger Grundstein, um ein weiteres Element der Behandlung auch digital und sicher verfügbar zu machen. Die Nutzung des E-Rezeptes ist insbesondere bei der telemedizinischen Behandlung wertvoll, soll aber natürlich ebenso beim regulären Arztbesuch zur Verfügung stehen und diesen weiterentwickeln. Die Datenhoheit des Patienten bzw. der Patientin spielt auch hier eine wichtige Rolle und trägt dazu bei, dass der Patient bzw. die Patientin Selbstverantwortung und Selbstbestimmung in der digitalen Versorgung an den Tag legt. Durch das Modellprojekt GERDA des Landesapothekerverbandes und der Landesapothekerkammer konnten in Kooperation mit dem Modellprojekt docdirekt erste Erkenntnisse gewonnen werden, die zur Umsetzung des E-Rezeptes deutschlandweit beigetragen haben.

Wo hapert es auf Landes- bzw. Bundesebene aus Ihrer Sicht, wo muss nachgebessert werden?

Die technische Entwicklung schreitet schnell voran und was vor ein paar Jahren noch undenkbar war, ist heute sehr gut machbar. Was den Fortschritt aber zumeist ausbremst sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, die nicht auf Innovation ausgelegt sind und es insbesondere uns als öffentliche Einrichtung (die an die Sozialgesetzgebung gebunden ist) sehr schwer machen. Das Sozialgesetzbuch wurde durch einige Gesetzesvorgaben wie beispielsweise dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) angepasst, auch der Kabinettsentwurf des Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetzes (DVPMG) setzt richtige Signale, es bestehen aber dennoch weiterhin einige rechtliche Beschränkungen. Auch die heterogenen Praxisverwaltungssysteme mit unterschiedlichen Schnittstellen blockieren häufig eine schnelle Weiterentwicklung der Vernetzung. Hierbei spielen vor allem monetäre Interessen in der Privatwirtschaft eine Rolle. Im Zuge der Bürokratieentlastung für niedergelassene Praxen wird der Fokus auch auf die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gelegt, die ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Behandlung darstellt. Es ist elementar, dass die Digitalisierung auch hier nicht an Schwung verliert und die rechtlichen und technische Hürden zeitnah genommen werden.

Welche nächsten Schritte sollten angegangen werden?

Der Gesetzgeber hat mit dem vorliegenden Entwurf des DVPMG bereits die wesentlichen Digitalisierungsschritte vorgegeben. Aus Sicht der KVBW erscheint hier insbesondere vordringlich, weitere Leistungserbringer im Bereich der Pflege und der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln an die Telematikinfrastruktur anzubinden und insoweit technische Vernetzung barrierearm fortzusetzen. Auch muss die TI entlang des technischen Fortschritts weiterentwickelt und insbesondere zukünftig auch den Einsatz von nicht karten- oder hardwarebasierten technischen Komponenten ermöglichen. Dabei muss unter Beachtung der Anforderungen des Datenschutzes und der Informationssicherheit der Betrieb dieser Komponenten einfach und benutzerfreundlich für die Angehörigen des professionellen Gesundheitswesens ebenso wie für Patientinnen und Patienten möglich sein. Digitalisierung muss letztlich Mehrwerte für alle Akteure generieren, eine ausschließlich mit Fristen und Sanktionen verbundene Einführungsstrategie von digitalen (Gesundheits-)Anwendungen muss der Vergangenheit angehören.

Vielen Dank für das Interview, Herr Dr. Fechner.

Bietet meine Hausärztin / mein Hausarzt auch Videosprechstunden an? Schauen Sie einfach nach! Über die Arztsuche der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg können Sie für jede Ärztin / jeden Arzt unter „Praxismerkmale“ einsehen, ob eine Videosprechstunden angeboten wird.