„Ziel ist die Schaffung einer möglichst breiten Wissensgrundlage für Behandelnde und Forschende.“

26.07.2021

In der fünften Ausgabe des Formats #gesundheitwirddigital – 5 Fragen ins Land berichtet heute Prof. Nisar Malek, Sprecher des Zentren für Personalisierte Medizin (ZPM)-Verbundes, über Entwicklungen in der Personalisierten Medizin.

Mit dem Format #gesundheitwirddigital – 5 Fragen ins Land möchten wir diejenigen zu Wort kommen lassen, die die Digitalisierung in Medizin und Pflege entscheidend voranbringen und uns dabei unterstützen, dass Baden-Württemberg auf diesem Gebiet Vorreiter bleibt. In unregelmäßigen Abständen veröffentlichen wir hier Interviews mit denselben fünf Fragen; heute Herr Prof. Malek, Sprecher des Zentren für Personalisierte Medizin (ZPM)-Verbundes.

Bitte beschreiben Sie Ihre Rolle bei der Umsetzung der Digitalisierung in Medizin und Pflege in Baden-Württemberg.

An den Zentren für Personalisierte Medizin (ZPM) der Universitätsklinika Baden-Württemberg spielt die Umsetzung der Digitalisierung eine wichtige Rolle, um die neuen Möglichkeiten der personalisierten Medizin in die Patientenversorgung zu überführen. Durch strukturierte Sammlung, Zusammenführung und Analyse verschiedenster digitaler Gesundheitsdaten, z.B. zur klinischen Vorgeschichte, zum molekularen Hintergrund der Erkrankung und zum Therapieverlauf, können Krebspatientinnen und -patienten bereits heute von der datenbasierten, wissensgenerierenden Versorgung an den ZPM profitieren. Die Korrelation verschiedener gesundheitsrelevanter, elektronischer Datensätze und deren Abgleich ermöglichen beispielsweise, sofern die Patientenzustimmung dazu vorliegt, dass in der Krebstherapie optimierte individualisierte Behandlungsentscheidungen entlang molekularbiologischer Merkmale der Tumore getroffen werden können. Auf Basis des durch die Digitalisierung geförderten Erkenntnisgewinns können neue Formate für klinische Studien initiiert und betroffene Patientinnen und Patienten einfacher identifiziert werden.

Darüber hinaus sehen wir unsere Aufgabe darin, die Patiententeilhabe durch Nutzung der Möglichkeiten digitaler Informationsplattformen zu verbessern und auf diese Weise unterschiedlichen Interessensgruppen Zugang zu aktuellen Informationen im Bereich der personalisierten Medizin zu verschaffen.

Welches eHealth-Projekt oder welche Anwendung begeistert Sie besonders – und warum?

Ein besonderer Stellenwert ist dem bwHealthCloud-Projekt zuzuordnen, welches sich mit dem Aufbau einer IT-Infrastruktur für den Datenaustausch im Bereich der personalisierten Medizin beschäftigt. Die bwHealthCloud verbindet derzeit die vier ZPM an den Universitätsklinika in Baden-Württemberg und ermöglicht einen Austausch qualitätsgesicherter standardisierter Gesundheitsdaten, zunächst von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung. Eine Ausweitung auf weitere Krankheitsgebiete ist angedacht.

Ziel ist die Schaffung einer möglichst breiten Wissensgrundlage für Behandelnde und Forschende, welche über alle Tumorarten hinweg eine Versorgungsverbesserung durch Auffinden vergleichbarer Fallkonstellationen (z.B. Tumore mit vergleichbaren genetischen Mustern) und durch Erkennen vielversprechender bzw. nicht wirksamer neuer Therapieansätze erlaubt. Die bwHealthCloud soll sowohl der Qualitätskontrolle neuer, molekular gerichteter Behandlungskonzepte dienen, sowie medizinisch-translationale Forschungsansätze fördern. Sie stellt eine interoperable Datenstruktur durch Nutzung von IT-Standards dar. Eine Vernetzung mit nationalen Infrastrukturmaßnahmen wie der Medizininformatik-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Deutschen-Genominitiative (genomDE) des Bundesgesundheitsministeriums und des Projektvorhabens zur Nationalen Forschungsdateninfrastruktur German Human Genome-Phenome Archive (GHGA) findet bereits statt.

Was waren rückblickend betrachtet wichtige Meilensteine für die Digitalisierung in Medizin und Pflege?

Wichtige Meilensteine für die Digitalisierung in Medizin und Pflege sind die Einführung von IT- und Dokumentationsstandards für die Erfassung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten, wie es z.B. im Rahmen nationaler Digitalisierungsinitiativen oder im Bereich der personalisierten Medizin durch Etablierung interdisziplinärer, qualitätsgesicherter Zentren für Personalisierte Medizin erfolgt ist. Interoperable IT-Strukturen an kollaborierenden Institutionen und eine vergleichbare Datenqualität sind wichtige Voraussetzungen, um gemeinsame Datennetzwerke aufbauen zu können, welche aussagekräftige Auswertungen von hohen Fallzahlen ermöglichen.

Außerdem ist die Einführung umfassender, informierter Patienteneinwilligungen (broad consent) an den Universitätsklinika als bedeutender Schritt für die Digitalisierung im Gesundheitswesen einzustufen, mit welchen die Patientinnen und Patienten der Nutzung ihrer Behandlungsdaten für For-schungszwecke zustimmen. Dies stellt die Rechtsgrundlage für den Aufbau von klinischen Forschungsdatenbanken dar, aus welchen sich wiederum Erkenntnisse ableiten lassen, die der Patien-tenversorgung zu Gute kommen.

Während der Corona-Pandemie haben sich insbesondere die Vorteile von virtuellen Austauschformaten in der Krankenversorgung als wertvoll erwiesen, wie telemedizinische Sprechstunden oder Fallkonferenzen per Videoschaltung. Letztere finden an den ZPM beispielsweise Anwendung, um molekulardiagnostische Angebote und interdisziplinäre Beratung für Patientinnen und Patienten der molekularen Tumorboards an regionalen Krankenhäusern verfügbar zu machen und sich mit den Behandlern vor Ort auszutauschen.

Wo hapert es auf Landes- bzw. Bundesebene aus Ihrer Sicht, wo muss nachgebessert werden?

Leider sind an den Krankenhäusern und im ambulanten Bereich häufig die nötigen technischen Voraussetzungen für die Datennutzung, insbesondere die Interoperabilität und Verwendung einheitlicher IT-Standards, noch nicht gewährleistet. Fehlende oder unterschiedliche IT- und Dokumentationssysteme sowie fehlende Standardisierung bzw. Strukturierung medizinischer Daten stellen Hindernisse bei den Digitalisierungsbestrebungen dar.

Außerdem hängt der Erfolg von Infrastrukturmaßnahmen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen auf Landes- und Bundesebene wesentlich davon ab, dass die Leistungserbringenden von Grund auf einbezogen werden und die fachlichen Anforderungen der zu etablierenden IT-Strukturen definieren können. Nur wenn die klinischen Anwendungsfälle im Voraus im Detail bekannt sind, kann sichergestellt werden, dass Infrastrukturen aufgebaut werden, welche dem medizinischen Bedarf optimal gerecht werden.

Darüber hinaus erschweren Unterschiede in der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung durch die einzelnen Bundesländer nationale Initiativen. Auf regulatorischer Ebene würde ich mir hier eine Harmonisierung der Datenschutzgesetzgebung zwischen Bund und Ländern wünschen.

Welche nächsten Schritte sollten angegangen werden?

Im nächsten Schritt sollte die Anwendung innovativer Datenanalysetechnologien wie die der Künstlichen Intelligenz (KI) weiter forciert und die Datenbankstrukturen darauf ausgerichtet werden. Die strukturierten, digitalisierten Gesundheitsdaten stellen eine wertvolle Datengrundlage hierfür dar, wenn sie in entsprechender Qualität und ausreichend hoher Fallzahl vorliegen. Forschungsansätze aus dem Bereich des maschinellen Lernens können herangezogen werden, um die Korrelation und klinische Interpretation der Vielzahl an Gesundheitsparametern zu unterstützen und die Therapiequalität zu verbessern.

Im Bereich der personalisierten Medizin liegen die nächsten Digitalisierungsschritte darin, die bwHealthCloud zu einer nationalen Datenbankstruktur auszuweiten, in Orientierung an der in Baden-Württemberg etablierten Infrastruktur und durch Zusammenarbeit der ZPM mit nationalen Digitalisierungsinitiativen. Auf diese Weise soll der gemeinsame Datenpool maßgeblich vergrößert werden und weiter an Aussagekraft gewinnen, sodass Patientinnen und Patienten deutschlandweit von den Möglichkeiten der personalisierten Onkologie unter vergleichbaren und qualitätsgesicherten Rah-menbedingungen profitieren können.

Gleichzeitig werden die ZPM in Baden-Württemberg daran arbeiten, die bwHealthCloud auf weitere Erkrankungen mit großem Potential für personalisierte Behandlungsansätze auszuweiten, wie z.B. immunvermittelte Erkrankungen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Prof. Malek.