„Die ePA ist das zentrale Element, um die sektorenübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern.“

12.11.2021

In der sechsten Ausgabe des Formats #gesundheitwirddigital – 5 Fragen ins Land sprechen wir heute mit Frau Mussa, Leiterin der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, unter anderem über die elektronische Patientenakte (ePA).

Mit dem Format #gesundheitwirddigital – 5 Fragen ins Land möchten wir diejenigen zu Wort kommen lassen, die die Digitalisierung in Medizin und Pflege entscheidend voranbringen und uns dabei unterstützen, dass Baden-Württemberg auf diesem Gebiet Vorreiter bleibt. In unregelmäßigen Abständen veröffentlichen wir hier Interviews mit denselben fünf Fragen; heute Frau Mussa, Leiterin der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg.

Bitte beschreiben Sie Ihre Rolle bei der Umsetzung der Digitalisierung in Medizin und Pflege in Baden-Württemberg.

Die TK engagiert sich schon seit vielen Jahren auf verschiedenen Ebenen für eine sinnvolle und umfassende Digitalisierung des Gesundheitswesens und hat mit Projekten wie der elektronischen Patientenakte „TK-Safe“ sowie dem „eRezept Deutschland“ eine Vorreiterrolle übernommen. Die TK-Landesvertretung setzt diese Projekte in Baden-Württemberg um und gibt gezielt Impulse, um die Digitalisierung voranzubringen. Dazu zählt beispielweise der von uns im Jahr 2015 organisierte Besuch mit Vertreterinnen und Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der Landesärztekammer bei Medgate in der Schweiz, dem größten ärztlich betriebenen telemedizinischen Zentrum in Europa. Dabei wurde deutlich: Fernbehandlung funktioniert – wenn man sie denn will und richtig gestaltet.

Auch in den folgenden Jahren haben wir das Ziel eines digital vernetzten Gesundheitswesens in Baden-Württemberg weiter konsequent verfolgt. Beispielhaft kann hier die bionische Gelmatratze „Babybe“ genannt werden, mit deren Hilfe Herzschlag, Brustkorbbewegung und Stimme der Eltern direkt auf frühgeborene Kinder im Inkubator übertragen werden. Dieses Projekt wird von uns als Landesvertretung federführend betreut. Am anderen Ende des Lebens ermöglicht das Programm „Sicher Zuhause“ – ein Hausnotrufsystem mit automatischer Sturzerkennung – trotz Pflegebedürftigkeit ein Leben in den eigenen vier Wänden.

Welches eHealth-Projekt oder welche Anwendung begeistert Sie besonders – und warum?

Mich begeistert die elektronische Patientenakte (ePA). Sie ist ein zentrales Instrument bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Denn durch die ePA werden Patientinnen und Patienten endlich in den Mittelpunkt gestellt. Mit der ePA habe ich als Versicherte die Übersicht über meine in Anspruch genommenen Leistungen und Diagnosen sowie über die Medikamente, die ich einnehme. Ich erhalte den Zugang zu Daten, die bisher noch in Arztpraxen gesammelt werden, wie etwa Laborbefunde. Und ich kann entscheiden, welchen ärztlichen Praxen und Kliniken ich meine Gesundheitsdaten wann zur Verfügung stelle. Patientinnen und Patienten, welche die ePA nutzen, können ihren Therapieverlauf viel besser als bisher steuern und koordinieren. Die Kommunikation mit Ärztin und Arzt erreicht eine neue Qualität.

Und noch ein wichtiger Vorteil: Die Übergänge vom Krankenhaus zur hausärztlichen Praxis oder von der Klinik in die Rehabilitation werden mit der ePA deutlich vereinfacht. Die ePA ist das zentrale Element, um die sektorenübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern. Die TK bietet ihren Versicherten eine bedienungsfreundliche Softwarelösung, mit der sie die Vorzüge der ePA in Anspruch nehmen können. Ein Instrument für das sich hoffentlich viele Menschen begeistern.

Was waren rückblickend betrachtet wichtige Meilensteine für die Digitalisierung in Medizin und Pflege?

Baden-Württemberg ist das Bundesland, in dem der Startschuss für die Telemedizin gefallen ist: Am 23. Juli 2016 erlaubte die Landesärztekammer Modellprojekte, in denen ärztliche Behandlungen ausschließlich per Fernbehandlung durchgeführt werden. Diese Regelung war zum damaligen Zeitpunkt bundesweit einmalig. Die KV Baden-Württemberg nutzte diese Vorlage dann knapp zwei Jahre später, um das Telemedizin-Projekt „docdirekt“ aus der Taufe zu heben. Das war sicher ein Meilenstein auf Landesebene. Auf Bundesebene wurde ein Jahr zuvor eine Entscheidung getroffen, die für die Digitalisierung des Gesundheitswesens unabdingbar war: die Einführung der Telematikinfrastruktur (TI). Denn nur durch eine gemeinsame Datenautobahn mit einheitlichen Schnittstellen ist ein digitales Netzwerk mit allen Organisationen des Gesundheitswesens – inklusive Pflege – möglich.

Wichtig auf Landesebene war ebenfalls im Jahr 2017 die Verkündigung der Digitalisierungsstrategie „digital@bw“ durch die Landesregierung sowie die Ausarbeitung der Strategie „Digitalisierung in Medizin und Pflege in Baden-Württemberg“ durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration. Damit setzte die Landesregierung ein klares Zeichen. Das Gleiche gilt für die Gründung des „Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg“ ein Jahr später. Der letzte bedeutsame Einschnitt war und ist die Corona-Pandemie. Es ist traurig, dass es eine solche Katastrophe gebraucht hat, um digitalen Anwendungen wie etwa der Videosprechstunde zum Durchbruch zu verhelfen.

Wo hapert es auf Landes- bzw. Bundesebene aus Ihrer Sicht, wo muss nachgebessert werden?

Die Corona-Pandemie hat die Defizite deutlich aufgezeigt: Es gibt viel zu wenig Transparenz über das Krankheitsgeschehen; ganze Bereiche wie der öffentliche Gesundheitsdienst stehen erst am Anfang der Digitalisierung. Politische Entscheidungen ohne ausreichende Datenlage werden zwangsläufig fehleranfällig. Auf Landesebene wurde in den letzten Jahren sicherlich sehr viel für ein digitales Gesundheitswesen getan. Doch die strahlenden digitalen Leuchttürme dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Digitalisierung in der Fläche nur sehr langsam ankommt. Von einem großen telemedizinischen Versorgungsnetz sind erst Ansätze vorhanden.

Auch die Digitalisierung des Rettungswesens kommt nur schleppend voran. Andere Bundesländer wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen sind hier deutlich weiter. Die Förderpolitik der Landesregierung bei Krankenhäusern sollte noch konsequenter in Richtung Digitalisierung ausgerichtet werden. Die konsequente Nutzung der ePA erfordert von allen Beteiligten Offenheit und Bereitschaft, Informationen auszutauschen und das eigene Handeln transparent zu machen. Diesen Prozess kann die Landesregierung aktiv unterstützen und für Unterstützung aus der Ärzteschaft werben.

Welche nächsten Schritte sollten angegangen werden?

Hier möchte ich fünf ganz konkrete Vorschläge unterbreiten:

• Bei allen Förderprojekten des Landes im Bereich der digital vernetzten Gesundheitsversorgung bzw. -forschung wird die Anschlussfähigkeit an die TI zur Fördervoraussetzung gemacht.

• Der Erwerb von digitalen Kompetenzen wird als zentrales Element in den jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen von Gesundheitsberufen verankert.

• Fördermittel an Plankrankenhäuser fließen in Baden-Württemberg künftig nur, wenn diese Schnittstellen zu einem telemedizinischen Versorgungsnetz bereitstellen.

• Im Krankenhausplan werden Festlegungen dazu getroffen, welche telemedizinischen Leistungen das Krankenhaus selbst für Patienten, niedergelassene Ärzte, Rettungsdienste und andere Therapeuten anbietet und welche telemedizinischen Leistungen das Krankenhaus von anderen Krankenhäusern oder Ärzten bezieht.

• Das Sozialministerium schafft die Basisinfrastruktur für eine landesweite „Informationsplattform Pflege“. Das Landeskompetenzzentrum PflegeDigital@BW kann hier seine Expertise einbringen. Auf der Plattform stellen die Beteiligten ihr Angebot für Beratung und Leistungen gebündelt ins Netz. Zudem werden perspektivisch – z. B. durch die Pflegestützpunkte – auch digital unterstützte Beratungen wie eine (video-) telefonische Erstberatung angeboten.

Vielen Dank für das Interview, Frau Mussa.