„Die Pflege ist zu wenig im Blick.“

26.03.2021

In der dritten Ausgabe des Formats #gesundheitwirddigital – 5 Fragen ins Land berichtet heute Ursel Wolfgramm, Vorstandsvorsitzende des PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg, über die Digitalisierung in der Pflege. 

Mit dem Format #gesundheitwirddigital – 5 Fragen ins Land möchten wir diejenigen zu Wort kommen lassen, die die Digitalisierung in Medizin und Pflege entscheidend voranbringen und uns dabei unterstützen, dass Baden-Württemberg auf diesem Gebiet Vorreiter bleibt. In unregelmäßigen Abständen veröffentlichen wir hier Interviews mit denselben fünf Fragen; heute Frau Wolfgramm, Vorstandsvorsitzende des PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg.

Bitte beschreiben Sie Ihre Rolle bei der Umsetzung der Digitalisierung in Medizin und Pflege in Baden-Württemberg.

Die letzten beiden Jahre (2019 und 2020) war ich als Vorsitzende der Liga der freien Wohlfahrtspflege im Beirat und der AG Digitalisierung und Pflege dabei und habe aus Sicht der Sozialwirtschaft die Digitalisierung insbesondere in der Pflege begleitet. Dabei ging es vorrangig um die Digitalisierung der ambulanten und stationären Pflege aber auch um die Bearbeitung der Schnittstellen zu Hausärzt*innen und Therapeut*innen, Krankenhäusern, Pflegekassen, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und anderen Dienstleistern, die in der Versorgung von älteren Menschen eingebunden sind. Mein Anliegen war es, den Gesundheitsstandort Baden-Württemberg nicht auf den medizinischen Bereich zu fokussieren, sondern dem Pflegesektor ausreichend Aufmerksamkeit zu schenken.

Welches eHealth-Projekt oder welche Anwendung begeistert Sie besonders – und warum?

docdirekt – Ihr Draht zum Arzt hat mich besonders begeistert. Dieses telemedizinische Angebot ist hilfreich im ländlichen Raum, wo die lokale medizinische Versorgung nicht mehr überall sichergestellt werden kann und für ältere oder behinderte Menschen, die durch Mobilitätseinschränkungen ggf. ihre Haus- oder Fachärzt*innen nicht (mehr) aufsuchen können.

Was waren rückblickend betrachtet wichtige Meilensteine für die Digitalisierung in Medizin und Pflege?

Die Schaffung des Landeskompetenzzentrums für Pflege und Digitalisierung im letzten Jahr. Hier werden Informationen gebündelt, bearbeitet und verbreitet, sodass ein gemeinsames Lernen stattfinden kann. Gute Ideen und erprobte Lösungsansätze können anderen nutzbar gemacht und ausgerollt werden.

Wo hapert es auf Landes- bzw. Bundesebene aus Ihrer Sicht, wo muss nachgebessert werden?

Die Pflege ist zu wenig im Blick, obwohl der doppelte Demographie-Effekt dramatische Folgen auf den Pflegesektor haben wird. Digitalisierung könnte ein wichtiger Baustein sein in der Ausbildung, bei der Beziehung zu Angehörigen und Dritten, z.B. mitbehandelnden Ärzt*innen, für die Optimierung von Abläufen, bei der Dokumentation und Abrechnung bis hin zu Themenbereichen wie Assistenz, Lebensbegleitung, Kommunikation, Beziehungspflege, Sport und Unterhaltung.

Welche nächsten Schritte sollten angegangen werden?

Breitbandausbau, WLAN in allen Pflegeinrichtungen/Zimmern, verlässlicher Datenschutz zwischen den Schnittstellen, aufeinander abgestimmte Schnittstellenlösungen, digitale Patientenakte (wenn Zustimmung vorliegt), angepasster Hilfsmittelkatalog, digitale Beratung, Ausstattung der Einrichtung flächendeckend mit Hard- und Software, Schulungskonzepte (Microlearning, spielerisches Lernen…), digitales Lernen in der Ausbildung, Hilfestellung für die alten Menschen bei der Anwendung sowie an die Benutzer*innen angepasste Benutzeroberflächen.

Vielen Dank für das Interview, Frau Wolfgramm.